Pura Vida

Erste Eindrücke

Beim Anflug auf San José verbarg sich das satte Grün Costa Ricas im Dunkel der Nacht. Auch auf der Fahrt an die Pazifikküste erkannten wir die Vegetation erst schemenhaft. Sofern wir denn die Augen offenhalten konnten, denn wir waren seit 23 Stunden wach. Im Hotel angekommen, setzten wir uns noch kurz auf die Veranda, um ungläubig dem Meeresrauschen zuzuhören. Wir hatten es geschafft, durften tatsächlich einreisen. Die Bestätigungen der Krankenkassen trafen rechtzeitig ein und wir konnten den benötigten QR-Code vorweisen, der unsere vorgängige Registrierung bestätigte.

Am nächsten Morgen konnten wir das Frühstück kaum erwarten. Zum einen hatten wir Hunger, viel mehr aber freuten wir uns auf Jasmin und Roger. Sie hatten gerade drei Wochen Costa Rica hinter sich und entsprechend viel zu erzählen.

Auf dem Weg zurück in die Hauptstadt wurde uns zum ersten Mal bewusst, wie sehr sich die Vegetation Costa Ricas von anderen Ländern unterscheidet. Hier kommt alles im XX-Format daher: XXLarge (Bäume, Farne, Blätter), XXWet (Luftfeuchtigkeit von über 80 %) und XXGreen (die alles beherrschende Farbe).

Wir bezogen ein einfaches Zimmer in einem Backpacker Hostel. Die Ausläufer von «Eta», dem Hurrikan, der über Nicaragua und Honduras hinwegfegte, brachte viel Regen. Wir konnten also in aller Ruhe zwei Tage lang planen, denn entgegen unserer Gewohnheit hatten wir uns kaum informiert und nichts gebucht.

Am dritten Tag nahmen wir unser Mietauto entgegen. Turrialba, nahe dem gleichnamigen Vulkan, war das Ziel. Wir wählten die kurvigere Bergstrecke und wurden mit einem Faultier belohnt, das sich an der Telefonleitung über die Strasse hangelte. Die langarmigen Baumbewohner sind deutlich schneller unterwegs, als ihr Name vermuten lässt.

Trotz anhaltendem Nebel und wiederholtem Platzregen machten wir uns auf zum Turrialba Volcano National Park. Die Strecke war gesäumt von Blättern und Farnen so gross, dass ein Erwachsener sich bequem darauf ausstrecken könnte. Am Kassahäuschen wies uns der Ranger darauf hin, dass sich der Eintrittspreis von 30 Dollar bei dieser Sicht nicht lohne. Wir liessen das Auto stehen und erkundeten die nähere Umgebung zu Fuss. Dabei folgten wir einem Trampelpfad durch rankendichtes Grün, bis er auf einem kleinen Plateau abrupt endete. An klaren Tagen geniesst man hier die Aussicht auf die umliegenden Wälder und Kaffeeplantagen, heute nur auf eine nieselfeuchte Nebelwand. Die drei Kilometer Rückweg über eine holprige und schmierige Schlammpiste wäre mit unserem Allrad Syncro leicht zu bewältigen, doch die Strassenarbeiter versicherten uns, dass wir auch mit dem untermotorisierten Yaris durchkommen würden. Auch wenn wir ihnen den für Ticos typischen Optimismus unterstellten und das Bodenblech einige Male heftig schepperte, behielten sie schliesslich Recht. 

Karibikküste

Den ersten Fächerpalmen und der salzigen Meeresbrise folgte schon bald der eindringliche Geruch von Marihuana. Welcome to the Carribean! Unsere Unterkunft in Cahuita lag nahe der Playa Negra, der wir aber den Pool vorzogen. Als wir so in den Hängematten schaukelten, sahen wir schnabellastige Tukane vorbeisegeln, hörten Brüllaffen durchs Geäst brechen, beobachteten, wie Agutis (eine Mischung aus Reh, Meerschwein und Hase) durch den Garten hoppelten und riesige Leguane sich auf den Ästen über unseren Köpfen fläzten. Der Cahuita Nationalpark ist wie ein Besuch im Zoo - jeder Baum und jeder Strauch ein potenzielles Gehege oder Terrarium, wo es etwas Behaartes oder Beschupptes zu entdecken gibt: Kapuziner-Affen, Brüllaffen, Faultiere, Agutis, Echsen, Kaimane und Waschbären. Die putzigen Pelztiere trippelten aus dem Wald an den Strand, machten zielsicher die unvorsichtigsten Touristen aus und schnappten sich Sandwiches und Süssigkeiten.

In einem der vielen Sodas (staatlich subventionierte Restaurants ohne Alkohollizenz) essen wir Costa Ricas Nationalgericht. «Casado» steht für die Vermählung von Reis und Bohnen, in Wasser oder Kokosmilch gekocht, spanisch oder karibisch gewürzt und ergänzt mit Fleisch, Gemüse und gegrillten Platanas (Kochbananen). 

Auf der Suche nach einem Restaurant spazierten wir abends durch das spärlich beleuchtete Dorf, als vor uns ein Faultier die Strasse überquerte. Wir konnten zusehen, wie es seine gebogenen Krallen ungeschickt im Lehm vergrub und sich vorwärts zog, ganz offensichtlich nicht für die Fortbewegung in der Horizontalen geschaffen. Doch kaum hatte es den nächsten Baum erreicht, war es auch schon oben im Geäst und hängte sich in die bevorzugte Ruheposition. Man sagt, Faultiere verliessen ihr luftiges Refugium nur gerade einmal pro Woche, um am Boden zu koten.

Puerto Viejo, das sich seinen Namen machte, als es noch ein Fischerdorf war, liegt nahe an der Grenze zu Panama. An seinen Stränden wollten wir surfen lernen. Misael erwartete uns mit zwei Longboards und der Nachricht, dass wir für den ersten Tag die perfekten Bedingungen vorfinden werden. An der Playa Grande lernten wir das Wellenreiten von Grund auf. Den dritten Versuch standen wir bereits und liessen uns zum Strand tragen. Die Wellen waren nur etwa einen Fuss hoch (30 cm), dennoch waren wir nach zwei Stunden erschöpft. Ein älteres Paar, das uns im Schatten des Waldes auf seinem Pickup sitzend zugeschaut hatte, offerierte uns zwei Trinknüsse zur Erfrischung. Die grünen Kokosnüsse sind hoch oben unter den Palmwedeln angeordnet. Sporadisch fällt eine mit einem lauten Plopp in den feuchten Sand. Wehe dem, der sich und sein Badetuch ahnungslos darunter ausgebreitet hat.  

Am zweiten Tag waren die Wellen aufs Doppelte angewachsen und am dritten bereits vier Fuss hoch. Was für ein Gefühl, übers Wasser zu gleiten, sich im Takt des Meeres zu wiegen und die Kraft der Wellen zu spüren. Aber höllisch anstrengend, gegen die einrollenden Wasserwände anzupaddeln, um wieder dorthin zu gelangen, wo die Wellen ihren Anfang nehmen. Mehr als einmal hatten wir eine volle Klatsche im Gesicht und eine Mundvoll Salzwasser geschluckt.   

Etwas wehmütig verabschiedeten wir uns von der Karibikküste. Kaum im Landesinneren angelangt, regnete es wieder vermehrt. Aber nicht so ein nervenzerrender, nicht enden wollender Leichtregen, wie wir ihn von zu Hause gewohnt sind, sondern dieser intensive, trommelnde Regen, der einen innert Sekunden durchweicht und wie ein Vorhang den Blick in die Welt verschleiert. Nur zwei Wochen nach «Eta» verwüstete der Hurrikan «Iota» erneut das nördliche Zentralamerika. Costa Rica bekam glücklicherweise nur die Ausläufer ab.

Talamanca Bergkette

Die Hänge des Talamanca-Gebirges sind mit Regen- und Nebelwäldern überzogen; ein dichtes Geflecht aus alten, bemoosten Eichen, Avocadobäumen mit hängenden Flechten, turmhohen Ficus mit ihren wellenförmigen Brettwurzeln, Korallenbäume mit filigranen knallroten Blüten, Fächerpalmen, Lianen, Ranken und Pilzen. Man sieht kaum fünf Meter in dieses Dickicht hinein. Wenn der Nebel zwischen die Stämme schleicht und die wenigen Sonnenflecken vom Blätterboden verbannt, dann wird es beinahe schon mystisch. Dies ist die Heimat der Tapire und Jaguare.  

Wir folgten der Routa 2 bis kurz nach dem Parque Nacional los Quetzales und bogen dann in eine kurvenreiche Strasse, die selbst für Schweizer Verhältnisse steil ist. Die Strassenschilder weisen auf Tapire hin und liessen Hoffnung auf eine Begegnung mit den scheuen Tieren aufkommen (die leider unerfüllt blieb). Erst aber stand der Quetzal im Fokus. Wir fragten in einem Restaurant nach, wo der seltene Vogel mit den langen Schwanzfedern am besten zu beobachten sei, und wurden an Raul verwiesen. So standen wir am frühen Morgen in seinem weitläufigen Garten und stapften hinter ihm die lehmigen Hänge hoch. Bereits im ersten Baum sass ein Weibchen. Gleichstellung hin oder her: nur das Quetzal-Männchen mit seinen langen Schwanzfedern und der vollen Farbenpracht vermag das Ornithologenherz vollauf zu erobern. Wenig später richtete Raul seinen Laserpointer ins Laub eines Avocadobaums, auf einen langen, blauen Streifen, der sich sanft im Wind wiegte. Der dazugehörige Vogel war grösstenteils hinter den Blättern versteckt, mit dem Fernglas aber deutlich zu erkennen – wir bestaunten den gefiederten König Costa Ricas.

Das Tal von San Gerardo de Dota liegt auf über 2'000 Meter, entsprechend kühl waren die Nächte. Doch mit dem Tageslicht kam die Wärme und das Leben erwachte. Vor unserem Zimmer schwirrten Kolibris und Schmetterlinge. Zwitschern, Zirpen und Pfeifen erfüllte den Wald, als wir dem Savegra-Trail «Los Robles» hoch auf 2'650 Meter folgten. Zu Beginn einladend breit und gut unterhalten, entpuppte sich dieser nach dem höchsten Punkt als ein steiles, rutschiges Schlammbett, das unseren Knien und Fussgelenken einiges abverlangte. Für die 6.2 Kilometer lange Strecke rechneten wir mit 90 Minuten, benötigten aber doppelt so lange. Das anschliessende Frühstück mit Agua Dulce – ein Heissgetränk aus Zuckerrohrpulver und Milch – brachte uns wieder auf die Beine.

In Rivas wohnten wir für einige Tage bei Shahira, einer Kanadierin aus dem französischsprachigen Québec. Nach langen Reisen durch Europa, Indien und Zentralamerika hat sie hier schliesslich Wurzeln geschlagen. Die Unterkunft mit Komposttoilette war ohne Strom und Internet, dafür mitten im Wald gelegen. Wir wuschen uns im Bergbach und trockneten uns unter der Sonne, die täglich immerhin zwei bis drei Stunden brannte. Wir unternahmen einen Ausflug in das Cloudbridge Reservat und auf den grossen Wochenmarkt von San Isidro, sonst beschäftigen wir uns vorwiegend mit Lesen im Trockenen, denn spätestens nach Mittag regnete es wieder.

Den Weg an die Pazifikküste unterbrachen wir in Palmar Norte und übernachten bei Eli und Nolan. Das für Costa Rica typische Haus ginge bei uns als Tiny House durch: ein Raum mit Küche und Gasherd, ein einfaches Sofa vor dem Flat Screen mit Spielkonsole, zwei enge Schlafzimmer mit den obligaten Highspeed Ventilatoren und ein Bad. Alles auf rund 40 m². Das zentralamerikanische Modell einer Waschmaschine stand auf der Veranda und war erklärungsbedürftig. Wir unterhielten uns radebrechend während mehrerer Stunden auf Spanisch und lernten so die Tico-Kultur besser kennen.

Peninsula Osa

Den Mietwagen stellten wir auf einem privaten Gelände in Sierpe ab, wo er von drei Zwergpinschern bewacht wurde, die nicht nur potenzielle Diebe abschrecken, sondern auch den Fahrzeugbesitzern nach den Fersen schnappen. Ein Boot brachte uns mit über 50 km/h durch die Mangrovenwälder zum offenen Meer, wo die Wellen für einige Aufschreie sorgten. Gekonnt lenkte El Capitan das Boot über eine grosse Welle, um dann 90˚ zu schwenken und parallel zu den Wellen Richtung Peninsula Osa zu flitzen. Backbord sprang ein graugesprenkelter Delphin zur Begrüssung aus der Gischt.

In der Drake Bay wateten wir die letzten Meter zum Strand, denn sowas wie einen Landesteg gibt es hier nicht. Während unser Gepäck per Quad zur Lodge transportiert wurde, spazierten wir durch den Ort Agujitas, der im Wesentlichen aus einer im Dreieck angeordneten Ringstrasse besteht, an der sich Restaurants, Minisupers und Tourenanbieter reihen. Bereits zum dritten Mal erhielten wir ein Upgrade und bezogen eine Cabiña, die auf Stelzen erhöht mitten in einem gepflegten Garten stand. Ehrlicherweise ist zu sagen, dass die vorab gebuchte Unterkunft (bestehend aus einem Stockbett auf einer Plattform unter einem Blachendach, jedoch ohne Wände) der Witterung zum Opfer gefallen war.

Die Regenfälle der letzten Tage hielten weiter an und durch die hohe Luftfeuchtigkeit trockneten unsere Kleider über der Leine nicht. Die regenfreie Zeit nutzten wir für Wanderungen am Strand und entlang der Flüsse (Vorsicht Krokodile) und Wasserfälle im Wald. Wir bereiteten unsere Mahlzeiten in der offenen Küche zu und probierten die unbekannten tropischen Gemüse und Früchte - zum Beispiel Yam (eine Mischung aus Yucca und Kartoffel) mit Gemüse an Frischkäsesauce und Pejibaye (eine gekochte Palmenfrucht) mit Mayonnaise.

Da der interessanteste Teil des Corcovado Nationalparks geschlossen war, verzichten wir auf eine geführte Tour und gaben die 170 Dollar stattdessen für einen Schnorchel-Ausflug zur Isla Caño aus. Die Insel am Horizont bereits in Sicht, drosselte der Kapitän den Motor und änderte den Kurs in Richtung der vor uns aufsprühenden Fontänen – das unverkennbare Zeichen für die Anwesenheit von Walen. Sanft durchbrach ein Buckelwal die Oberfläche und präsentierte die weisse Unterseite seiner Fluke. Kurz vor Caño besuchte uns eine Gruppe Delphine und eine Riesenschildkröte suchte verschreckt die Sicherheit der Tiefe. Trotz Dauerregen und aufgewühltem Meer fanden wir einen Ort mit klarem Wasser und tauchten in eine mystische Unterwasserwelt ein, mit schroffen Felsen und Korallen, die von Papagei- und Kugelfischen, Barracudas, Halfterfischen und Stachelrochen bevölkert sind.

Ursprünglich planten wir, eine Woche zu bleiben, doch weil uns die nächste Unterkunft absagte (das gebuchte Baumhaus sei auf der aufgeweichten Piste kaum zu erreichen), beschlossen wir, vier Nächte anzuhängen. Wir wurden mit vielen Sonnenstunden und einigen Tierbegegnungen belohnt. So offenbarte uns die als artenreichste Ecke des Landes bekannte Halbinsel doch noch einiges: Kapuziner- und Brüllaffen, Spider Monkeys, Tukane, Leguane, Riesenkrebse, Aras und Agutis. Blaue Morphofalter und Kolibris als ständige Zaungäste. Und ein streunender Hund, der erstaunlich hartnäckig unter unserer Sitzbank ausharrte in der Hoffnung, auch etwas Aufmerksamkeit abzubekommen.

Pura Vida heisst übrigens soviel wie “Das pralle Leben” und auf das freuen wir uns auch im zweiten Teil unserer Reise, die Pazifikküste hoch und in den trockeneren Nordwesten des Landes.