Vive la France

Als wir beschliessen, Frankreich zu bereisen, kommt Michael seine Lieblingslektüre der Kindheitsjahre in den Sinn: Asterix der Gallier. Im Band «Tour de France» wird Asterix’ Dorf von den benachbarten römischen Garnisonen hinter einer Palisade weggeschlossen, um die widerspenstigen Dörflern, die die Pax Romana gefährden, vom restlichen Gallien zu trennen. Asterix versichert dem französischen Präfekten, dass nicht einmal Cäsar in der Lage sei, die Freiheitsliebe der Gallier zu ersticken. Mit seinem Kumpel Obelix macht er Kleinholz aus der römischen Palisade und wettet mit dem zornentbrannten Präfekten, dass sie trotz römischer Kontrolle über das Land in der Lage seien, ganz Gallien zu bereisen. Als Beweis will er dem Präfekten bei ihrer Rückkehr die Spezialitäten aus allen Ecken des Landes vorsetzen.

Frankreich weckte nicht nur die Begehrlichkeiten der Römer. Seine fruchtbare Erde und sein mildes Klima lockten früh Kelten, Bretonen, Römer und die germanischen Stämme der Franken ins Land. Es ist kulturhistorisch eines der wichtigsten Länder Europas und wie wir nicht erst seit Asterix wissen, ist es eben auch das Land der Haute Cuisine und der Gaumenfreuden. Wir zwei vom Stamm der Helvetier flüchteten vor Wolkenbruch und Regen, um im benachbarten Land dem «Leben wie Gott in Frankreich» zu frönen und einiges für unsere Allgemeinbildung zu tun. Leider kommen wir nicht umhin, liebe Leserin, lieber Leser, dir die Last unserer Erkenntnisse mit einem ellenlangen Reisebericht aufzubürden.  

Elsass (Grand Est)

Nach Basel beginnt das liebliche Elsass. Es war jahrhundertelang abwechselnd unter deutscher und französischer Kontrolle. Das erkennt man am kauderwelschen Dialekt und an der deftigen, deutschangehauchten Küche. Aus der hügeligen Reben-Landschaft erheben sich kleine, bunte Dörfer: Kaysersberg, Riquewihr und das labyrinthartige Eguisheim. Wir schlendern durch enge Gassen, die nach altem Mauerwerk riechen, vorbei an duftenden Buchsrabatten und gewinnen beim Blick durch Putzenscheiben einen Eindruck vom Innern der schmucken, mit Geranien verzierten Fachwerkhäuser. In den Cafés und Brasseries der sonnigen Hauptplätze und unter den schattigen Lauben in den Innenhöfen der zahlreichen Weinhäuser geniessen wir elsässische Spezialitäten: Choucroute garnie, Tarte flambé, Foie Gras, Münsterkäse und dazu einen kühlen Pinot Gris und einen perlenden Crémant d’Alsace.

Lothringen (Grand Est)

Auf unserem Weg in die Normandie durchqueren wir das Département Lothringen, das Hauptschauplatz der Westfront im 1. Weltkrieg war. Der monatelange Stellungskrieg in den Schützengräben zog sich von Belgien im Norden bis an die Schweizer Grenze. Die kleine Stadt Verdun war das Epizentrum der kriegerischen Auseinandersetzungen, die am Ende rund 9 Millionen Franzosen, Belgiern, Briten und Deutschen das Leben kostete. Die heute so friedliche Landschaft mit ihren bewaldeten Hügeln, Sonnenblumenfeldern und weidenden Kühen lässt kaum mehr etwas vom Schrecken und den Gräueln des bis dahin grausigsten Krieg der Menschheitsgeschichte erahnen. Nur die Denkmäler und zahlreichen Soldatenfriedhöfe, mit ihren in langen Reihen gesteckten weissen Kreuze und den geschwungenen Grabsteinen der muslimischen Soldaten aus den früheren französischen Kolonien, erinnern wie stumme Mahnfinger daran.

Wir verlassen diesen emotionalen Schauplatz und gelangen nach Metz, wo die Seille in die Moselle (die Mosel) fliesst und wir eine Quiche Lorraine in den kühlen Hallen des Marché couvert geniessen.   

Champagne-Ardenne (Grand Est)

Ahh, Champagner, das weltbekannte Edelgetränk! Es wird aus den drei Weintrauben Chardonnay, Pinot noir und Pinot Meunier gekeltert. Die Trauben werden sanft ausgepresst und gären drei Monate im Stahltank. Dann wird die Assemblage unter Beigabe von Hefe in Flaschen abgefüllt, die von der Horizontalen langsam in Schräglage gebracht und täglich um eine Vierteldrehung bewegt werden – früher durch geschulte Hände, heute maschinell – bis die Heferückstände vollständig in den Hals der Flasche abgesunken sind. Dann wird der Flaschenhals eingefroren und der Eiskorken mit den Heferückständen entnommen. Dem Rebensaft wird sechs bis zwölf Gramm Zuckersirup zugefügt, der ihn je nach Dosierung zum Brut oder zum Demi-Sec werden lässt, und schliesslich tauchen die Flaschen für ein bis zwei Jahre in die Tiefen der Kellergewölbe, wo sich ihr Inhalt zum perfekten Champagner entfaltet. In der Region Champagne wird die perlende Köstlichkeit getrunken, als handle es sich um ordinären Tafelwein. Die Bistros und Brasseries reichen ganze Menüs mit den Produkten der lokalen Winzer dazu.

Wir schlendern durch die stillen Strassen der aus Sandstein erbauten, mit Hortensien geschmückten Dörfer Avize und Oger und wandern durch die Rebberge bis nach Le Mesnil-sur-Oger. Auf den schmalen Wegen müssen wir einige Male seltsamen Fahrzeugen ausweichen, die wie Traktoren auf Stelzen anmuten. An die drei Meter hoch sind sie, und schmal genug, um jeweils eine Reihe von Rebstöcken zwischen die Räder zu nehmen und mit ausfahrbaren Seitenarmen die Reben links und rechts davon mit Pflanzenschutzmitteln einzunebeln. Die Felder sind mit den Namen der Weingüter bezeichnet und wir begegnen so bekannten Namen wie «Moët et Chandon» und «Barons de Rothschild».   

In Le Mesnil-sur-Oger wollen wir das Musée de la vigne et du vin besuchen, das dem Weingut Launois angegliedert ist. Leider werden an diesem Tag keine Führungen angeboten. Dafür geniessen wir eine Degustation der hauseigenen Champagner. Sonst nicht üblich, dürfen wir nach der Degu in der Lounge im Innenhof verweilen, wo uns der Champagner unserer Wahl im Eiskübel gereicht wird und wir unter den ausladenden Sonnenschirmen zufrieden an unseren Flûtes nippen. Ein gutgelaunter Herr im fortgeschrittenen Alter setzt sich zu uns und stellt sich als Bernard Launois vor, Inhaber des Weinguts. Bernard hat sich aus dem Geschäft zurückgezogen und kümmert sich nur noch um sein Steckenpferd, das Museum, während seine Töchter das Unternehmen in der achten Generation weiterführen. Bernard ist in Plauderlaune und erzählt uns von seinen Reisen und Abenteuern, die ihn auch heute noch jedes Jahr in die entlegensten Ecken der Welt führen, und weg von Frankreich, der Champagne und dem wirtschaftlich schwierigen Dasein familiengeführter, mittelgrosser Champagnerhäuser.

Die grössten Schaumweinproduzenten sind alle an der Avenue de Champagne in Épernay vertreten. Auch das Maison Mércier, das seinen Champagner im Ort produziert. Eugène Mercier erwarb mit knapp 20 Jahren in der Mitte des 19. Jahrhunderts sein erstes Weingut und begann, Champagner zu produzieren. Er warb bei den lokalen Winzern mit dem Aufbau einer Kooperative, mit dem Ziel, grössere Mengen kostengünstiger zu produzieren, um das Edelgetränk in gewohnter Qualität auch dem gemeinen Volk zugänglich zu machen. Durch seinen wirtschaftlichen Erfolg ermutigt, gab er wenige Jahre später ein 18 km langes Tunnelsystem im Kreidefelsen unter seiner Produktionsstätte in Auftrag. Die Tunnels waren nicht mit russenden Fackeln oder Petrollampen ausgeleuchtet, sondern mit elektrischem Licht, und sie waren durch Lüftungsschächte gut klimatisiert. Er baute sogar ein Schienensystem durch die auf einer Ebene schachbrettartig angelegten Tunnels. So konnten die Flaschen bequem und zeitsparend transportiert und zugleich in Zugwaggons verladen werden, die, werbewirksam vom Logo des Unternehmens geziert, quer durch ganz Frankreich sowie das angrenzende Ausland rollten. Immer bemüht, seine Marke noch bekannter zu machen, gab Mercier den Bau eines Fasses in Auftrag, das in Rumänien aus 150 gefällten Eichen hergestellt und in Einzelteilen nach Épernay transportiert wurde. Das riesige Fass «Le Foudre» fasste den Inhalt von 200'000 Flaschen. Anlässlich der Weltausstellung im Jahr 1889 liess er das Fass nach Paris transportieren. Dazu waren 24 Ochsen und 18 Pferde nötig und es mussten Brücken abgestützt und Hindernisse aus dem Weg geräumt werden – unter anderem drei Häuser, die Mercier eigens zu diesem Zweck erwarb. «Le Foudre» war neben dem Eiffelturm denn auch die Sensation an der Weltausstellung.

Picardie (Hauts-de-France)

Amiens wurde rund um die Somme gebaut, aber weitere 65 km Wasserwege machen die Stadt erst zum Venedig Frankreichs. Wir haben einen Parkplatz neben der Altstadt gefunden, am Rand von «Les Hortillonages» gelegen, einem von Kanälen durchzogenen Obst- und Gemüseanbaugebiet. Entlang der vielleicht 2 Meter breiten Kanäle sind Boote vertäut und dann und wann führt eine kleine Brücke auf die andere Seite, zu einem Haus mit Garten.

Saint-Leu ist das ehemalige Viertel der Gerber, Weber und Färber. Die dreigeschossigen alten Häuser mit pastellfarbenem Putz und Holzfachwerk sowie die neueren, ziegelroten Arbeiterhäuser spiegeln sich im kanalisierten Wasser der Somme. Auf der anderen Seite des Flusses erhebt sich die Kathedrale Notre-Dame über der Altstadt. Wir erklimmen die steile Treppe und stehen unvermittelt auf der rückwärtigen Seite der Kathedrale. Ihre Grösse ist überwältigend! Man muss den Kopf schon fest in den Nacken legen, um sie in ihrer ganzen Dimension zu erfassen. Das Mittelschiffgewölbe hat eine Höhe von 42 Metern und das gesamte Bauwerk eine Länge von 145 Metern – das grösste mittelalterliche Kirchengebäude Frankreichs. Dabei wurde die Kathedrale in Rekordzeit hochgezogen – nicht mal 200 Jahre wurden zu ihrer Fertigstellung benötigt. Möglich machten das gezeichnete Pläne und die Rationalisierung der Arbeit der Steinmetze, die erstmalig serienmässig Quadersteine nach einer Anzahl von Modellen herstellten und nicht mehr jeden Stein einzeln vor Ort abmessen, behauen und einpassen mussten.

Der Innenraum mit seinem Mosaikboden, den bemalten, steinernen Bögen, den marmornen und in Gold gefassten Marien- und Jesusstatuen und die in Stein geschnitzten Figuren, die die Geschichte Jesu und Amiens erzählen, sind schlicht atemberaubend. Wie muss es da wohl den Menschen im Mittelalter ergangen sein, wenn sie durch das riesige Kirchenportal traten. Menschen, die im Alltag nie Bilder oder Schriften vor Augen hatten und deren Vorstellungskraft auf dem beruhte, was sie in unmittelbarer Nachbarschaft sahen und erlebten?

Unsere Begeisterung für Amiens findet ihren Höhepunkt in der Entdeckung der Rilettes – einem Brotaufstrich, der aus im eigenen Saft und Fett gekochtem Gänse-, Enten- oder Schweinefleisch besteht und der hervorragend zu Wein und Bier passt.  

Normandie

Bei Criel-sur-mer gelangen wir an die Küste der Normandie. Ein breiter Küstenstreifen zwischen weissen, steil aufragenden Kalksteinfelsen. Der Strand besteht aus beinahe faustgrossen Kieselsteinen, die das Gehen erschweren. Abhilfe leistet ein Bretterweg entlang der weissen Strandhäuschen mit bunten Dächern. Die Sonne bricht durch die Wolken, eine sanfte Brise fährt uns durchs Haar. Der Duft nach Salzwasser und Tang und das Geschrei der Möwen weckt in uns das Gefühl, angekommen zu sein.   

Wir besuchen das Câteau d’Eu, ehemals Burg von Eu. Sie wurde 1050 von Wilhelm II, Herzog der Normandie, erbaut, der später England eroberte und es als Wilhelm I regierte. Die Burg wurde in den Kriegsjahren des Spätmittelalters geschliffen und an seiner Stelle wurde das Château erbaut. Prominenteste Bewohner waren Louise Marie Adélaïde und ihr Gemahl Louis-Philippe II Joseph de Bourbon, Duc d’Orléans. Aus der herzöglichen Verbindung ging Louis-Philippe I. hervor, der nach den Wirren der französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen als König der Franzosen vom Parlament installiert wurde und seinen Eid auf die neue Verfassung leistete. Einige Zimmer des Châteaus sind noch immer originalgetreu möbliert und mit riesigen Ölgemälden dekoriert, die mit den wundervollen Stuck- und Kassettendecken in königlichen Gold- und Rottönen, den Kristallleuchtern und den feingearbeiteten Parkettböden um die Gunst des Betrachters buhlen.    

Wir bewegen uns weiter westwärts, folgen der felsigen Küste, durch schmucke Badeorte und gelangen schliesslich an die der Halbinsel Cotentin vorgelagerten Küstenorte Colleville-sur-mer und Vierville-sur-mer. Der Küstenabschnitt ging als «Utah Beach» in die Geschichte ein, als am D-Day vom 6. Juni 1944 die alliierten Truppen hier an Land gingen und sich der deutschen Wehrmacht stellten, um erst die Halbinsel bis Cherbourg und später Paris zu befreien. Wer die Filme «Der längste Tag» oder «Der Soldat James Ryan» gesehen hat, bekommt eine Vorstellung davon, unter welchen Umständen sich die amerikanischen, britischen, kanadischen, französischen und polnischen Soldaten diesen mehrere Kilometer langen und etliche hundert Meter breiten Sandstrand hochkämpfen mussten - unter heftigstem Beschuss und ohne Deckung, um die mit schwerer Artillerie versehenen Bunker und die mit Maschinengewehr-Nestern gespickten Dünen auszuräuchern. Zwischen Ebbe und Flut kann der Tidenhub bis 10 Meter betragen und der Strömung kann man nicht widerstehen, erst recht nicht mit 20 kg Ausrüstung auf dem Buckel, die einen bei einem Fehltritt in die Tiefe zieht.  Heute erinnern Museen, Denkmäler und ausrangierte Betonbunker entlang der Küste an den Tag und den Ort, wo die Befreiung Europas ihren Anfang nahm. Welchen Charakter hätte Europa heute, hätten die Alliierten nicht dieses grosse Opfer gebracht, um für Freiheit und das Recht des Menschen auf Selbstbestimmung zu kämpfen?

Die Küstendörfer der Normandie sind heute zu ihrem beschaulichen Leben zurückgekehrt und zum Badetourismus, der im 18. Jahrhundert seinen Anfang nahm. Die gepflegten viktorianischen Häuser aus Stein und weissem Holzwerk laden auch heute noch zum Urlaub ein. Scharen von Touristen werden von den kilometerlangen Sandstränden oder den von Kalkfelsen gesäumten Kiesstrände angezogen, wo Kitesurfer ihren Spielplatz finden und wo Einheimische während der Ebbe zwischen algenüberzogenen Felsplatten nach Muscheln, Schnecken und Krabben suchen. Die Normandie steht nicht nur für ihre herrliche Meeresküche mit ihren Plateux des fruits de mer, sondern auch für die drei C der normannischen Küche: unbedingt einmal Moules au Camembert probieren, dazu Cidre und als Absacker einen Calvados.  

Im Dörfchen Barfleur trauen wir uns dann schliesslich auch ins kalte Wasser. Die Ebbe gibt einen kleinen Strand preis, mit feinem Sand und Felsen, die natürliche Pools mit türkis Wasser bilden. Nur das kühle Lüftchen erinnert uns daran, dass wir nicht im Mittelmeer, sondern in der Nordsee planschen. Eindrücklicher Abschluss der Normandie ist Mont St.-Michel. Ein Monument des christlichen Glaubens und der mittelalterlichen Baukunst, erhebt sich die Kirchenfestung aus dem Wattenmeer. Im 8. Jahrhundert aus einer Vision geboren, trotzte sie sämtlichen Eroberungs- und Schleifversuchen von Wikingern, Sachsen und Protestanten und widersteht bis heute dem ewigen Zyklus der Gezeiten.

Pays de la Loire

Wir verlassen den Norden, verabschieden uns in Rennes von unser Freundin Barbara, die unser Camperleben 10 Tage bereichert hat, und folgen der Loire und ihren Nebenflüssen. Die herrlichen Loire-Schlösser (es gibt rund 400 davon) waren zur Zeit ihrer Erbauung wehrhafte Burgen, die als Bollwerke gegen die englischen Invasoren dem Schutz der Anwohner dienten. Als der normannische Herzog Wilhelm der Eroberer bei seiner Invasion auf der britischen Insel das angelsächsische Reich unterwarf und das anglo-normannische Königreich begründete, besassen die nachfolgenden englischen Könige und Dukes (Herzöge) weiterhin Lehensgebiete in der alten Heimat Frankreich, was sie zur Treue gegenüber dem französischen König verpflichtete. Das Adelsgeschlecht der Plantagenêt stellte von 1150 bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts nicht nur die Könige Englands, sondern beanspruchte territorialen Besitz, der beinahe die gesamte westliche Hälfte Frankreichs beinhaltete. Während dieser Zeit kam es immer wieder zu lehensrechtlichen Auseinandersetzungen. Dazu kam der Streit um die Thronfolge in Frankreich zwischen dem englischen König Edward III und dem amtierenden König Philippe VI. Im Jahr 1346 folgte eine grossangelegte Offensive der Engländer in die Normandie, zur Sicherung von Land und Krone, die schliesslich zum Hundertjährigen Krieg ausuferte.

Die Turmspitzen des Chateau d’Ussé, das erhöht über dem Fluss Indre thront, lugen bereits aus dem morgendlichen Bodennebel und das weisse, in U-Form angelegte Schloss schält sich aus dem wolkigen Weiss. Die Fundamente und gewisse Mauerteile sind noch immer als grobgehauenes Festungswerk erkennbar, das dann plötzlich in feineres Mauerwerk übergeht.  Wir verbringen fast zwei Stunden damit, die der Öffentlichkeit zugänglichen Säle, Zimmer und Turmkammern zu erkunden. Das Schloss ist noch immer bewohnt und seine Besitzer beschäftigen einen Gärtner, einen Zimmermann und einen Steinmetz im Vollzeitpensum, um die nie endenden Renovationen und Unterhaltsarbeiten an Schloss und Garten zu bewerkstelligen.

Wegen der Schönheit des Tales liess sich der französische Adel bevorzugt an der Loire nieder. Im 15. und 16. Jahrhundert wurde vorzugsweise von hier aus politisiert, so dass Paris zeitweise provinziellen Charakter annahm. Wir fühlen uns dem geschichtsträchtigen Ort verpflichtet und geniessen ein fürstliches Dîner, bestehend aus einer Terrine de campagne à l’ancien chutney, einer Foie gras de canard, gefolgt von einem Filet de truite accompagné de polenta und einer Cuisse de canard aux cèpes sautés à la graisse de canard avec gratin dauphinois und dazu einen hervorragenden Roten aus dem angrenzenden Périgord. Wir verstehen beim Lesen der Karte auch nicht alles, aber was kommt, schmeckt vorzüglich.

Périgord (Nouvelle-Aquitaine)

Beynac-et-Cazenac breitet sich auf den Felsterrassen am Ufer der Dordogne aus, unterhalb einer 150 m hohen Steilwand mit darauf thronender Burg. Dank dem Schutz der Wälle und seiner begünstigten Lage am Fluss war der Ort einst wichtiger Umschlagplatz für Wein aus dem Dordognetal und für Stoffe, Körbe und Eichenfässer aus den lokalen Werkstätten. Heute ist das Städtchen eine regionale Touristenattraktion und Ausgangsort für Kanutouren auf der Dordogne. Ein Spektakel auch vom Ufer aus, können wir doch dann und wann kieloben treibende Boote mit hinterherschwimmender Besatzung beobachten.   

Weiter in Richtung Bergerac und Saint-Émilion. Wir sind in der historischen Region Périgord und sehen die ersten schmucken Weindörfer in den Reben nisten. Die lokalen Weine stehen etwas im Schatten der Bordeaux-Weine, geniessen aber ebenfalls einen hervorragenden Ruf. Sie sind Assemblages der Trauben von Merlot, Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon und Malbec. Im Château Soutard geniessen wir eine Führung durch die alten Mauern mit modernem Interieur und kühlem Keller. Das aktuelle Jahr hat auch dem Périgord viel Regen und wenig Sonne beschert. Die zu erwartende geringe Ausbeute schlägt sich bereits auf die Preise der früheren Jahrgänge nieder. Die Degustation der Weine ist vielversprechend, aber den beabsichtigten Kauf lassen wir bleiben: 80 Euro für eine Flasche Wein direkt vom Produzenten ist einfach unverschämt. Die hiesigen Trüffelspezialitäten ziehen wir daher schon gar nicht in Betracht.

Lourdes (Okzitanien)

Millionen Heilsuchende, Trauernde, hoffnungsvolle Kranke und Versehrte, Nonnen, Priester und Gläubige aller Nationen, alleine oder in Gruppen - singend, betend oder in stiller Andacht versunken - pilgern jährlich nach Lourdes und der Grotte von Massabielle. Hier erschien einem jungen Mädchen aus dem Ort die heilige Jungfrau Maria. Nach weiteren 17-maligem Erscheinen war der Bernadette Soubiros klar, was sie zu tun hatte: sie überzeugte den ortsansässigen Priester, an Ort und Stelle eine Wallfahrtskirche zu errichten.

Der Heiligenbezirk besteht aus einem riesigen Vorplatz, an dessen Ende der sakrale Gebäudekomplex in die Höhe ragt: Die runde Rosenkranz-Basilika und dahinter, alles überragend, die auf den Fels gebaute Basilika Notre-Dame-de-l’Immaculée-Conception. Zwei geschwungene Rampen führen seitlich der Rosenkranz Basilika auf den Felsabsatz hoch. Am hinteren Fuss des Felses liegt die Erscheinungsgrotte. Die Quelle, die sich beim Erscheinen der Maria in der Grotte auftat, speist die Gläubigen und befreit sie von ihrem quälenden Durst nach Erlösung. Das Wasser wird heute in zwei Anlagen geleitet, wo es auf Knopfdruck aus dem Hahn fliesst und aus der hohlen Hand getrunken und oder in Kanister abgefüllt wird, um der Sippe zu Hause etwas Gutes zu tun. Am Fluss stehen einzelne Badegebäude und ein überdachter, windgeschützter Ort. Hier brennen hunderte Kerzen für die Seelen der schmerzlich vermissten Verstorbenen und für das Glück und Seelenheil der geliebten Lebenden. Am Abend wohnen wir der Lichterprozession bei. Die Mosaikfassade der Basilika ist in warmes Licht getaucht und wohin man schaut leuchten Kerzen und Windlichter im Dunkel. Die Liturgie wird in vielsprachigen Zungen gehalten; wir erkennen Französisch, Latein, Englisch, Spanisch, Italienisch, Deutsch, Holländisch und vermuten Portugiesisch, Chinesisch und Hebräisch. 

Mit guten Gefühlen machen wir uns auf zu unserer letzten Etappe in Frankreich – den Pyrenäen. Der Cirque de Gavarnie – eine halbrunde, gigantische Felswand mit sieben Wasserfällen – bildet den würdigen Abschluss dieses eindrücklichen und geschichtsträchtigen Landes der Gallier, Franken, Franzosen.