Gedanken zur Demokratie

Letzthin wurden in der Schweiz Wahlen abgehalten. Ich habe das Geschehen in Athen, via die sozialen Medien, verfolgt. Auf dem Weg zur Akropolis machte ein Schild auf folgendes aufmerksam: Athen, die Wiege von Demokratie, Philosophie, Theater, Wissenschaft und Kunst. Und der Slogan „Greece - Where Europe Starts“.

Wir Schweizer haben den Griechen damit einiges zu verdanken. Zumindest denjenigen von vor 2500 Jahren. Diese alte Schuld durften wir dem heutigen Griechenland mit indirekten Kohäsionszahlungen von mehreren Millionen abgelten. Auch, um Brüssel über unser Fernbleiben von der EU zu beschwichtigen. Aber nicht nur Denker wie Perikles und Co., auch Napoleon hatte zu unseren Gunsten die Karten verteilt, in dem er eine föderalistische Verfassung für die Schweiz proklamierte. Der Wiener Kongress bestätigte die Eigenständigkeit der Schweiz und forderte im Gegenzug deren aussenpolitische Neutralität. Aus diesen Begebenheiten ist ein Staat mit einmaliger politischer Vielfalt entstanden. Der Sonderfall Schweiz, mit einem Sonderstatus in Sachen Demokratie. Mitten in Europa und der Europäischen Union, einem supranationalen Staatengebilde, deren politische Funktionäre über unsere schweizerisch-demokratischen Volksentscheide bestenfalls die Nase rümpfen. Östlich von Griechenland ist von demokratischem Gedankengut erst recht nichts mehr spürbar. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass gemäss Demokratieindex von 2016 nur gerade 4.5 % der Weltbevölkerung in Staaten mit sogenannt „vollständigen“ Demokratien[1] leben, obwohl sich deutlich mehr Nationen das Prädikat „Demokratisch“ auf die Fahne schreiben.

Wir haben auf unserer Reise mit Menschen aus verschiedenen europäischen Ländern gesprochen. Ein junges Paar aus Deutschland gab uns zu verstehen, dass sie die Schweizer für ihre politische Entscheidungsfreiheit zwar bewunderten, sie selbst aber die Antworten auf Fragen mit weitreichenden politischen und wirtschaftlichen Ausmass lieber gescheiteren Leuten, sprich Politikern, überlassen würden. Diese Meinung vertrat übrigens schon Sokrates.

In Albanien trafen wir auf einen Betriebswirtschaftsstudenten, der das Bed and Breakfast seiner Tante co-managte und uns wundervoll betreute – mit einem Oxford-Akzent, der sich gewaschen hat, und den er sich selbst via Internet beibrachte. Ein talentierter junger Mann, der ob der mangelnden beruflichen Zukunftsaussichten und der Korruption in seinem Land desillusioniert und wie so viele seiner Generation der Meinung ist, nur im westlichen Ausland sein Glück machen zu können.

Die Griechen hätten das tanzen und fröhlich sein verlernt, sagt Amalia, unsere Gastgeberin in Athen. Früher arbeitete man wenig und feierte viel. Man habe Freunde eingeladen und sei jede Nacht bis in die Puppen von einem Club zum nächsten gezogen. Seit dem EU-Beitritt und der zahlreichen von der EU und dem IWF verhängten Reformen könne man sich bestenfalls einen Ausgehabend in der Woche leisten.  
Wir haben auch den Eindruck, dass die Griechen, im Gegensatz zu ihren nordwestlichen Nachbarn, eher ernster Natur und etwas reservierter sind. Vielleicht ist das ihrem kulturellen Erbe und der wechselhaften Natur Fortunas geschuldet, die es mit den Griechen nicht immer gut meinte. Die anderen Balkanländer waren aufgrund ihrer Lage zwischen Okzident und Orient immer schon in einer geopolitischen Zange gefangen – erst durch die Griechen und Römer, dann durch die Handelsmächte Byzanz und Venedig und schliesslich durch die damaligen Grossmächte Österreich-Ungarn, Russland und das osmanischen Reich – und wurden wechselnd besetzt und befreit. Die Griechen jedoch waren in ihrem Selbstverständnis immer eine Macht und kulturelle Grösse im Mittelmeerraum. Dann mussten sie die Schmach einer 400-jährigen Fremdherrschaft durch die Osmanen erdulden, später den Einfall der Nazis, und zuletzt den Beinahe-Bankrott ihres Staates, der nur dank Zugeständnissen starker finanzieller Einschnitte – vor allem in die Renten und mittels Entlassungen von über 350‘000 Staatsangestellten – abgewendet werden konnte.

Demokratie bedeutet Volksmacht. Den Bürgern demokratischer Staaten wird eine gewisse Machtfülle zugestanden, um die Geschicke des Landes mitzugestalten. In der Regel, in dem sie ihr Parlament und / oder die Regierung wählen. In wenigen Fällen, in dem sie direkt über gewisse Sachverhalte entscheiden dürfen. Wenn aber die gewählten Politiker ihre vollmundigen Versprechen nicht halten, dann wird aus der Macht des Bürgers sehr schnell Ohn-Macht. Demokratie ist also nicht automatisch mit Entscheidungsfreiheit gleichzusetzen und diese nicht unbedingt mit besseren Lebensumständen oder gar mit Glück. Sie lässt aber immerhin zu, eigene Fehler und nicht nur fremdbestimmte auszubaden, und dabei zu lernen.


[1] Quelle: Wikipedia / Demokratieindex